Quelle: Jahrbuch des Inst. für Marxist. Studien und Forschungen 12/1987, S. 238-244

DAS HISTORISCHE UND LOGISCHE IN DER METHODOLOGIE VON KARL MARX

Wiktor A. Wasjulin

In einer ersten Annäherung stellt sich das Problem des Historischen und des Logischen vom marxistischen Standpunkt aus als Problem des Verhältnisses des Denkens zu der in ihm reproduzierten, von ihm abgebildeten Wirklichkeit, d.h. unter dem Logischen wird hier das Denken und unter dem Historischen die durch das Denken abgebildete Wirklichkeit verstanden. Bei einem solchen Herangehen ist das Problem des Historischen und Logischen nicht von der Grundfrage der Philosophie über das Verhältnis zwischen Denken und Materie unterschieden.

Als besonderes Problem erscheint es nur dann, wenn es sich um die Darstellung eines bestimmten Entwicklungsprozesses im Denken handelt, ferner um seine Stadien, vor allem solcher großer Stadien, wie des entwickelten, reifen Stadiums dieses Prozesses und seines unentwickelten, unreifen Stadiums, seines Werdens.

Das Problem des Historischen und Logischen besteht in seinen allgemeinen Aspekten wesentlich in dem Problem des Verhältnisses eines bestimmten Entwicklungsprozesses zu seiner logischen Ausdrucksform. Dieses Problem fällt schon deshalb nicht mit der Grundfrage der Philosophie zusammen, weil nicht jede Bewegung Entwicklung ist. Entwicklung ist eine besondere Bewegungsform, die sich im aufsteigenden Stadium im allgemeinen vom Einfachen zum Komplizierten, vom Niederen zum Höheren vollzieht und im absteigenden Stadium im allgemeinen vom Höheren zum Niederen, vom Komplizierten zum Einfachen. Zudem bezieht sich das Problem des Historischen und Logischen als spezifisches Problem jedesmal auf einen b e s t i m m t e n Entwicklungsprozeß. Im "Kapital" ist dies die Frage nach der Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie und deren Widerspiegelung im Denken.

In der sowjetischen philosophischen und insbesondere der ökonomischen Literatur dominiert bislang jene Auffassung vom Historischen und Logischen, die sich auf die Aussagen von Engels in seiner Rezension zu Marx' "Zur Kritik der politischen Ökonomie" sowie im Vorwort zum dritten Band des "Kapitals" stützt. Die Ansichten von Marx zu diesem Problem werden faktisch mit den Aussagen von Engels identifiziert. 1) Wenn man jedoch den Kontext der Arbeiten von Marx und Engels berücksichtigt und die unterschiedlichen konkreten Ziele im Blick behält, die sich diese großen Denker stellten, so kann man gewisse Unterschiede in der Formulierung und Behandlung dieses Problems durch sie bemerken. Betrachten wir zunächst jenen Aspekt des Problems, der von Engels hervorgehoben wird.

Das wichtigste Ziel von Engels in der Rezension zu Marx "Zur Kritik der politischen Ökonomie" bestand - was das Historische und Logische angeht - darin, zu zeigen, daß von den beiden Methoden der Kritik der bürgerlichen politischen Ökonomie (der logischen und der historischen) die logische Methode für Marx die einzig annehmbare war. Wie Engels bemerkt, konnte die Geschichte der politischen Ökonomie ohne die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft nicht geschrieben werden, aber "damit würde die Arbeit unendlich, da alle Vorarbeiten fehlen." 2)

Folglich war es nicht möglich, die bürgerliche politische Ökonomie überwiegend und speziell durch die historische Methode zu kritisieren, da die entsprechenden Untersuchungen zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft fehlten. Und natürlich legt Engels den Akzent auf den Nachweis, daß die logische Behandlungsweise "in der That nichts andres als die historische" ist, d.h. er unterstreicht die E i n h e i t der logischen Methode mit der historischen: "Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen, und sein weiterer Fortgang wird nichts sein als das Spiegelbild, in abstracter und theoretisch consequenter Form, des historischen Verlaufs; ein corrigirtes Spiegelbild, aber corrigirt nach Gesetzen die der wirkliche geschichtliche Verlauf selbst an die Hand gibt, indem jedes Moment auf dem Entwicklungspunkt seiner vollen Reife, seiner Klassicität betrachtet werden kann." 3)

Engels verneint nicht den Unterschied zwischen der historischen und der logischen Untersuchungs- und Darstellungsweise: die historische unterscheidet sich von der logischen durch die historische Form und die störenden Zufälle, durch die Berücksichtigung der Sprünge und der Zickzackbewegungen der Geschichte; die logische unterscheidet sich von der historischen hingegen dadurch, daß sie den historischen Prozeß in korrigierter Form widerspiegelt (wobei diese Korrekturen den Gesetzen dieses Prozesses entsprechen), daß jedes Moment des Prozesses in seiner vollen Reife begriffen wird. Die historische Methode der Kritik der Literatur der politischen Ökonomie könnte im Vergleich zur logischen, so meinte Engels, im besten Fall nur populärer sein.

Somit legt Engels den Hauptakzent auf die Einheit von Historischem und Logischem.

Beide Methoden bringen letztlich den - in Gedankenform fixierten - Entwicklungsprozeß zum Ausdruck. Beide Methoden vermitteln eine adäquate Darstellung des Entwicklungsprozesses nur dann, wenn sie als wechselseitige Einheit angewendet werden. In der Tat benötigt die logische Entwicklung des Denkens die ständige Berührung mit dem wirklichen Gegenstand - sonst verwandelt sie sich in eine bloß scholastische Logik. Ihrerseits verwandelt sich die historische Methode, wenn sie von der logischen abgetrennt wird, im wesentlichen in eine Kollektion von reinen Zufälligkeiten, Zick- zackbewegungen usw.

Im Vorwort zum dritten Band des "Kapital" hebt Engels in seiner Kritik an P. Fireman hervor, daß die logische Betrachtungsweise den historischen, wirklichen Prozeß der Entwicklung widerspiegelt.

Wenden wir uns nun jenem Aspekt des Problems des Historischen und Logischen zu, der bei Marx im "Kapital" und in den ihm zugehörenden ökonomischen Manuskripten in den Vordergrund tritt; danach werden wir den ersten und den zweiten Aspekt miteinander vergleichen.

Die Periode der eigentlichen Niederschrift der Varianten des "Kapitals" war eine Periode, in der Marx seinen Gegenstand in seinem inneren Zusammenhang, als Ganzheit, schon nicht mehr auf dem Niveau einer wissenschaftlichen Hypothese, sondern bereits auf dem Niveau einer wissenschaftlichen Theorie aufzufassen suchte. Die dominierende Methode hierbei konnte nur die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten sein, d.h. zum Konkreten als einer Einheit von vielfältigen Bestimmungen, zum Konkreten im Denken. Das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten hat eine Abfolge von Bestimmungen zur notwendigen Voraussetzung. Das Problem des Historischen und Logischen interessiert Marx in Zusammenhang mit der Frage: In welcher Abfolge sind die ökonomischen Kategorien zu begreifen, von welcher Abfolge der Geschichte muß man sich hierbei leiten lassen?

Mit anderen Worten stellt sich Marx die Frage: Welche Wechselbeziehungen existieren zwischen der Abfolge der Gedanken über den jeweiligen Prozeß, die durch die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten entwickelt werden, und der Abfolge des historischen Prozesses? Sind die ökonomischen Kategorien in der Abfolge zu betrachten, in der die entsprechenden ökonomischen Verhältnisse v o r dem Kapitalismus existierten? Oder in der Abfolge, in der die den ökonomischen Kategorien entsprechenden Verhältnisse die entscheidende Rolle in der Epoche der E n t s t e h u n g des Kapitalismus spielten? Oder in der Abfolge, die durch den Stellenwert der ökonomischen Verhältnisse in dem bereits entstandenen, r e i f e n Kapitalismus diktiert wird? Diese Frage stellt sich deshalb, weil Marx folgendes voneinander unterscheidet: e r s t e n s den reifen Gegenstand, der sich auf seiner eigenen Grundlage entwickelt; z w e i t e n s seine Entstehung, d.h. den Prozeß der durch diesen Gegenstand (den Kapitalismus) vorgenommenen U m g e s t a l t u n g eines qualitativ von ihm verschiedenen, ihm vorausgehenden Gegenstandes, einer vorausgehenden Totalität (der feudalen ökonomischen Gesellschaftsformation); d r i t t e n s qualitativ voneinander verschiedene Gegenstände als Stufen (ökonomische Gesellschaftsformationen) im Prozeß der Entwicklung (der Gesellschaft). Diese Frage stellt sich Marx auch deshalb, weil er den Einfluß dieser U n t e r s c h i e d e auf die Abfolge der logischen Betrachtungsweise zu berücksichtigen sucht. Für Marx war es notwendig, für die Bestimmung der i n n e r e n Struktur, der i n n e r e n Konstruktion der logischen Methode den Akzent auf die Präzisierung der S p e z i f i k der historischen Methode gegenüber der logischen zu setzen. Für Engels hingegen war es bei der Verfolgung seiner Zwecke nicht erforderlich, die innere Struktur der logischen Methode zu betrachten; deshalb hat er auch den Unterschied zwischen der logischen und der historischen Methode in einer allgemeineren, weniger gegliederten Form dargelegt, wie im weiteren gezeigt wird.

Tatsächlich wird bei Marx die logische Methode, die logische Abfolge nicht mit der historischen Entwicklung einfach in Parallele gesetzt. Marx unterscheidet in der historischen Entwicklung drei Seiten, welche die logische Abfolge bestimmen können.

Die logische Abfolge ist eine solche Abfolge in der Betrachtung der Seiten des Gegenstandes, die durch den Ort und die Bedeutung dieser Seiten in dem bereits entwickelten, reifen Gegenstand bestimmt ist. Hier ist der entwickelte, reife Gegenstand das Historische im Verhältnis zu seiner Abbildung im Denken, d.h. zum Logischen. Dieses Logische fällt mit dem so bestimmten Historischen zusammen und folgt ihm.

Jene Abfolge in der Betrachtung der Seiten des Gegenstands, die durch die Abfolge bestimmt wird, in der die einzelnen Seiten die Hauptrolle spielten, durch jenen Ort, den sie in der E n t s t e h u n g des Gegenstands einnahmen, ist die historische Abfolge. Und diese A b b i l d u n g des Gegenstands stellt sich als historische gegenüber der anderen, der logischen Abbildung des Gegenstands dar. Aber zugleich ist diese Abbildung im Verhältnis zur abgebildeten Abfolge der Seiten des Gegenstands im Prozeß der Entstehung auch Logisches gegenüber jenem, was sie abbildet, welches Historisches ist. Bezeichnen wir diese historische Abfolge als historische Abfolge erster Art.

Die Abfolge in der Betrachtung der Seiten des Gegenstands, die durch jene Abfolge bestimmt ist, in der diese Seiten die Hauptrolle spielten, durch jenen Ort, den sie in den einander ablösenden Stufen (hier in den ökonomischen Gesellschaftsformationen) des Entwicklungsprozesses (hier der Gesellschaftsentwicklung) einnahmen, ist ebenfalls eine historische Abfolge im Verhältnis zur ersten der betrachteten Abfolgen. Aber zugleich ist sie eine Abbildung der Abfolge von Seiten qualitativ verschiedener Stufen, und diese Abbildung stellt sich als Logisches gegenüber der abgebildeten dritten der betrachteten Abfolgen des realen historischen Prozesses dar. Bezeichnen wir diese dritte Abfolge des realen historischen Prozesses als historische Abfolge zweiter Art.

Wovon ließ sich Marx bei der Auswahl der logischen Abfolge leiten?

Gegenstand der Betrachtung von Marx im "Kapital" ist die moderne, reife bürgerliche Gesellschaft.

"Wir haben es aber hier mit der gewordnen, auf ihrer eignen Grundlage sich bewegenden bürgerlichen Gesellschaft zu thun", 4) schreibt Marx in dem ökonomischen Manuskript von 1857-1858, dem Rohentwurf des "Kapitals". Und an anderer Stelle dieses Manuskripts heißt es: "Wie überhaupt bei jeder historischen, socialen Wissenschaft, ist bei dem Gang der ökonomischen Categorien immer festzuhalten, daß, wie in der Wirklichkeit, so im Kopf, das Subjekt, hier die moderne bürgerliche Gesellschaft gegeben ist, und daß die Categorien daher Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelne Seiten dieser bestimmten Gesellschaft, dieses Subjekts ausdrücken, und daß sie daher a u c h w i s s e n s c h a f t l i c h keineswegs da erst anfängt, wo nun von ihr als solcher die Rede ist. Dieß ist festzuhalten, weil es gleich über die Eintheilung entscheidendes zur Hand giebt." 5)

Wodurch wird also die Abfolge in der Betrachtung der ökonomischen Kategorien bestimmt? "... ihre Reihenfolge (ist) bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft auf einander haben ..." 6)

Marx beweist im ökonomischen Manuskript von 1857-1858, daß "es unthubar und falsch (wäre), die ökonomischen Categorien in der Folge auf einander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren." 7) Tatsächlich können entwickeltere Verhältnisse historisch vor der Bildung einfacherer Verhältnisse existieren. Zum Beispiel können Kooperation, entwickelte Arbeitsteilung auch dort existieren, wo es kein Geld gibt. 8) Das einfache Verhältnis erreicht seine höchste Entwicklung in einer entwickelteren Form des Prozesses. So durchdringt das Geld alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens erst unter der Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. In allen früheren gesellschaftlichen Verhältnissen erfaßte das Geldwesen "nie das Ganze der Arbeit". 9) In den angeführten Beispielen figuriert die historische Abfolge zweiter Art. Hierbei fällt sie nicht mit der logischen Abfolge zusammen, bei der die einfacheren Verhältnisse vor den komplizierteren untersucht werden müssen. Marx führt auch Beispiele für eine Nichtübereinstimmung zwischen der historischen Abfolge erster Art und der logischen Abfolge an. Im Rahmen einer im engeren Sinne historischen Untersuchung des Kapitalismus (oder, mit anderen Worten, einer Untersuchung der Entstehung des Kapitals) müßten vor allem seine historischen Vorbedingungen und Voraussetzungen charakterisiert werden, zum Beispiel die Flucht der Leibeigenen in die Städte. Im bereits existierenden Kapital, das durch seine eigene Bewegung die Bedingungen seiner Existenz setzt, verschwinden die historischen Voraussetzungen seiner Entstehung. 10) In der von den bürgerlichen Ökonomen vorgenommenen Gleichsetzung der Entstehungsbedingungen des Kapitals mit den Bedingungen seiner Existenz sieht Marx eine der methodologischen Wurzeln für die Betrachtung des Kapitalismus als einer ewigen, unhistorischen Produktionsform. 11)

Leicht einsichtig ist der e n t s c h e i d e n d e Umstand, daß die Abfolge der logischen Betrachtung durch den Platz und die Rolle der Momente gerade und ausschließlich des reifen Gegenstands oder Prozesses bestimmt wird und keineswegs dadurch, welchen Ort diese Momente vor der Bildung des Gegenstands oder Prozesses, wie er sich auf seiner eigenen Grundlage entwickelt, einnahmen und welche Rolle sie hier spielten. Denn wenn der Gegenstand sich entwickelt und auf jeder Stufe seiner Entwicklung eine spezifische innere Einheit vielfältiger Momente bildet, so nimmt jedes dieser Momente in den verschiedenen Stadien einen unterschiedlichen, für das jeweilige Stadium spezifischen Platz ein und spielt eine spezifische Rolle im Vergleich zu jener Rolle in anderen Stadien der Entwicklung des Gegenstands oder in einem anderen Gegenstand oder im Vergleich zu Rolle und Ort der Momente im Prozeß des Übergangs von einer qualitativ bestimmten Stufe zu einer anderen qualitativ bestimmten Stufe.

Somit gliedert Marx bei der Betrachtung der inneren Struktur der logischen Methode auch die historische Abfolge in mehrere Abfolgen, während Engels das Historische in seinem allgemeinen, ungegliederten Aspekt betrachtet. Das Ziel, das er sich in der erwähnten Rezension stellte, rechtfertigte völlig ein solches Herangehen.

Die einfache Warenproduktion ist eine Produktion, die auch vor der Entstehung des Kapitals existiert. Marx ist der Auffassung, daß die Abfolge der Betrachtung der ökonomischen Kategorien durch die Beziehung bestimmt wird, die sie "in der m o d e r n e n bürgerlichen Gesellschaft auf einander haben", 12) d.h. in der reifen bürgerlichen Gesellschaft.

Marx geht nicht von den h i s t o r i s c h e n Voraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft aus, sondern, wie er selbst bemerkt (diese Zitate haben wir bereits angeführt), von der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt, wenn die h i s t o r i s c h e n Voraussetzungen bereits verschwunden sind. Tatsächlich beginnt Marx nicht mit der kapitalistisch modifizierten Ware in dem Sinne, daß er zu Beginn nicht das Warenkapital, sondern die Ware betrachtet. Aber Marx nimmt die kapitalistisch modifizierte Ware in dem Sinne, daß in den ersten Kapiteln des "Kapitals" die Ware, in ihrer Existenz als einfache Ware, Ware der kapitalistischen und nicht der vorkapitalistischen Gesellschaft ist. Marx fixiert die e i n f a c h e Ware der k a p i t a l i s t i s c h e n Gesellschaft. Gerade der Umstand, daß es sich um die einfache Ware der kapitalistischen Gesellschaft handelt, bestimmt auch den Charakter ihrer Untersuchung wie ihren Platz im System der ökonomischen Kategorien. Marx bemerkt selbst, daß er im "Kapital" mit der Ware beginnt, die im "Detailhandel ... des b ü r g e r l i c h e n Lebens" zirkuliert, in einer Bewegung, die an der Oberfläche der b ü r g e r l i c h e n Welt vorgeht. 13)

Ein Zugang, bei dem innerhalb des Historischen nicht zwischen den verschiedenen historischen Abfolgen unterschieden wird, ist ausreichend für eine allgemeinste Charakteristik des Historischen und Logischen; er reicht jedoch nicht aus, wenn in der Untersuchung und Darstellung die Aufdeckung der inneren Struktur der logischen bzw. der historischen Methode wichtig wird.

Weiter. Die tiefste Erforschung des Entwicklungsprozesses wird erreicht, wenn ein reifes, entwickeltes Stadium dieses Prozesses gegeben ist. Wenn bereits der Übergang zur Untersuchung der inneren Struktur des reifen Stadiums eine differenziertere Betrachtung des Historischen erfordert als bei einer allgemeinen Charakteristik des reifen Stadiums, so gewinnen die Spezifik, die Struktur der historischen Methode eine noch größere Bedeutung, wenn auf der Grundlage der Erkenntnis des reifen Stadiums die Erkenntnis der Vergangenheit entwickelt wird. Das Studium des Prozesses, der das Stadium der Reife erreicht hat, ist mit dem Stadium der Reife zu beginnen. "Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höhres in den untergeordnetren Thierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist". 14) Die Andeutungen auf das Höhere in einem weniger entwickelten Stadium können deshalb nicht verstanden werden, weil diese Andeutungen selbst zufälligen Charakter tragen, noch nicht zur Notwendigkeit der Entwicklung geworden sind. Und bei einer Untersuchung der unteren Stufe unter dem Blickwinkel einer höheren Stufe besteht die große Gefahr, daß die vorangegangenen Entwicklungsstufen nur als Vorbereitungsetappen gerade und ausschließlich für jene höhere Stufe behandelt werden. In diesem Falle wird vergessen, daß die vorangehenden Stufen sich qualitativ von der höheren Stufe unterscheiden, daß die Momente dieser Stufen auf der höheren Stufe in veränderter Form aufgehoben werden können. Gerade eine solche logische Beschränktheit ist für bürgerliche Ökonomen charakteristisch, die "alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen". 15)

Damit die Gegenwart es erlaubt, die Vergangenheit in ihrer Vielfältigkeit wahrzunehmen und nicht nur als eine Stufe hin zu sich selbst, muß die Gegenwart selbst als transitorisch begriffen werden. Bei einer adäquaten Betrachtung des Gegenstandes, der sich auf seiner eigenen Grundlage entwickelt, tritt dieser als sich selbst negierender und als die historischen Voraussetzungen für einen entwickelteren Gegenstand schaffender Gegenstand in Erscheinung. Die Untersuchung des Vergangenen, das vor der gegenwärtigen Stufe existierte, vom Standpunkt eines richtigen Verständnisses der Gegenwart aus, stellt eine besondere Arbeit dar - "eine Arbeit für sich, an die wir hoffentlich auch noch kommen werden", 16) schreibt Marx 1857/1858.

Was Marx bei der Lösung des Problems des Historischen und Logischen vollbrachte, ist gewaltig. (In einem kurzen Aufsatz können nur die Konturen des Beitrags von Marx zur Formulierung und Lösung dieses Problems umrissen werden.) In dem Maße, wie sich die Gesellschaft und die Anhäufung wissenschaftlicher Kenntnisse entwickeln, ist eine weitere Ausarbeitung dieses Problems erforderlich.

Übersetzung: Gert Meyer.

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1) Vgl. ausführlicher: W.A. Wasjulin, Für einen historischen Zugang zum Problem des Historischen und Logischen (russ.), in: Filosofskie nauki, Jg. 1963, Nr. 2.

2) MEGA II, 2, S. 253. MEW 13, S. 475.

3) Ebenda.

4) MEGA II, 1.1, S. 175. Grundrisse, S. 164.

5) MEGA II, 1.1, S. 41. Grundrisse, S. 26/27.

6) MEGA II, 1.1, S. 42. Grundrisse, S. 28.

7) Ebenda.

8) MEGA II, 1.1, S. 38. Grundrisse, S. 23.

9) MEGA II, 1.1, S. 38. Grundrisse, S. 24.

10) MEGA II, 1.2, S. 368-369. Grundrisse, S. 363-364.

11) MEGA II, 1.2, S. 369. Grundrisse, S. 364.

12) MEGA II, 1.1, S. 42. Grundrisse, S. 28 (Herv. v. Verf.).

13) MEGA II, 1.1, S. 174. Grundrisse, S. 163 (Herv. v. Verf.).

14) MEGA II, 1.1, S. 40, Grundrisse, S. 26.

15) Ebenda.

16) MEGA II, 1.2, S. 369. Grundrisse, S. 365.