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Viktor A. Vazjulin DIE LOGIK DES "KAPITALS" VON KARL MARX (russ.1968, 2002, deutsche Auflage 2005) |
Viktor A. Vazjulin
Das System der Logik G.W.F. Hegels und das System der
Logik des "Kapitals" von K. Marx
Eine vergleichende
Untersuchung des Systems der Hegelschen Logik und des Systems der Logik des
"Kapitals" von Marx
fördert eine ganze Reihe wichtiger Erkenntnisse zutage.
Erstens lässt sich
auf diesem Wege detailliert und systematisch der rationelle Gehalt der Logik
Hegels herausfinden, was ohne eine mit dem "Kapital" vergleichende
Analyse letztlich nicht in vollem Maße realisierbar ist. Ausführlicher
wird etwas später darauf zurückzukommen sein.
Zweitens setzt eine
schöpferische Aneignung und Verarbeitung des ganzen gedanklichen Reichtums
und der Ideentiefe des "Kapitals" notwendig das Verständnis der
Anschauungen von Marx in ihrer Entstehung und Entwicklung voraus, ihren
Zusammenhang mit den ideengeschichtlichen Quellen eingeschlossen. Die Hegelsche
Logik nimmt unter diesem Quellen keinen unbedeutenden Platz ein.
Als Marx das
Verhältnis seiner Methode zu der von Hegel charakterisierte, formulierte
er: "Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen
nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der
Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges
Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere
Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im
Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle".[1]
Hierbei verweist Marx
auf die Gegensätzlichkeit seiner und der Hegelschen Methode. Doch in eben
diesem berühmten Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes des
"Kapitals" stellt er darüber hinaus fest: "Die
Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert
in keiner Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender
und bewusster Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss
sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu
entdecken."[2]
Während sich nach
Marx Auffasung Quelle und Geheimnis der Hegelschen Philosophie in der
"Phänomenologie des Geistes" verbergen, ist ihr Wesen vor allem
und hauptsächlich aus seiner "Wissenschaft der Logik" zu
entschlüsseln. Die Logik spielt in Hegels Philosophie eine zentrale Rolle.
Marx arbeitete die
Dialektik und Logik Hegels im Verlaufe vieler Jahre durch. Den rationellen Kern
in der mystischen Hülle der Dialektik und Logik Hegels hatte er bereits in
den vierziger Jahren entdeckt. Damals lag jedoch der Akzent auf der Kritik des
Idealismus der Hegelschen Methode und Logik.
Das wichtigste theoretische Ergebnis der Marxschen Studien war in diesen
Jahren die Herausbildung der materialistischen Geschichtsauffassung.
In den fünfziger
und sechziger Jahren hatte sich die Situation ein wenig verändert, und der
Schwerpunkt bei der Überarbeitung der Hegelschen Methode und Logik durch
Marx verlagerte sich. Zwar setzte Marx seine Kritik an Hegels Idealismus auch
weiterhin fort und vertiefte sie sogar, doch konzentrierte er seine
Aufmerksamkeit nunmehr in erster Linie auf die Herausschälung des "rationellen
Kerns" der Hegelschen Methode. Auf
einen der Gründe, die dazu führten, verwies Marx selbst in dem schon
erwähnten Nachwort: "Aber gerade als ich den ersten Band des "Kapitals"
ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige
Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort
führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu
Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als 'toten Hund'. Ich
bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und
kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit er ihm
eigentümlichen Ausdrucksweise."[3]
Die Beschreibung eines
anderen und nicht weniger wichtigen Grundes ist in Engels' Rezension des Buches
"Zur Kritik der politischen Ökonomie" enthalten, in der Engels
über die epochale Bedeutung der Leistung von Marx schreibt: "In einer
Schrift wie der vorliegenden kann von einer bloß desultorischen Kritik
einzelner Kapitel aus der Ökonomie, von der abgesonderten Behandlung
dieser oder jener ökonomischen Streitfrage nicht die Rede sein. Sie ist
vielmehr von vornherein auf eine
systematische Zusammenfassung des gesamten Komplexes der ökonomischen
Wissenschaft angelegt, auf eine zusammenhängende Entwicklung der Gesetze
der bürgerlichen Produktion und des bürgerlichen Austausches ...
Seit Hegels Tod ist kaum
ein Versuch gemacht worden, eine Wissenschaft in ihrem eigenen, inneren
Zusammenhang zu entwickeln."[4]
In den fünfziger
und sechziger Jahren stand Marx vor der Aufgabe der Systematisierung seiner politökonomischen Forschungen, der
Entwicklung der Wissenschaft in ihrem inneren
Zusammenhang. Da Hegel aber als
einziger Mensch vor Marx auf diese Weise - wenngleich auch auf idealistischer
Grundlage - eine Wissenschaft zu entwickeln versucht hatte, war die Hinwendung
zu diesem Versuch und die kritische Aneignung der von Hegel erzielten
rationellen Ergebnisse natürlich und notwendig. Die Ausarbeitung der Mehrwerttheorie, die systematische Entwicklung
der politischen Ökonomie des Kapitalismus als einer konkreten Wissenschaft
in ihrem inneren Zusammenhang erforderte eine Interpretation des rationellen
Gehalts des Systems der Hegelschen Logik.
Marx überarbeitete
die Methode und Logik Hegels nicht auf spekulative Weise, sondern im
Zusammenhang mit seinen einzelwissenschaftlichen Forschungen. Die Logik einer Sache erforschend,
entwickelte er zugleich auch die Sache der Logik. Und gerade im
"Kapital", also dem Werk, in dem die Mehrwerttheorie entfaltet ist,
ist auch das System der Logik von Marx - einer Logik von allgemeinerer
Bedeutung - enthalten.[5]
Zugleich schließt
das "Kapital" de facto die Kritik des Systems der Hegelschen Logik in
sich ein, obwohl der logische Gehalt dieses großartigen Werkes so eng mit
seinem politökonomischen Gehalt verschmolzen ist, dass es einer speziellen
dialektisch-logischen Untersuchung des "Kapitals" bedarf, um ein
System der dialektischen Logik bei Marx zu entdecken.
Unter Lenins Aussagen,
die sich auf die Aufgaben beim Studium der Logik des "Kapitals"
beziehen, findet sich auch der folgende paradox anmutende, aber
außerordentlich bedeutsame Aphorismus: "Man kann das
"Kapital" von Marx und besonders das I. Kapitel nicht
vollständig begreifen, ohne die ganze
Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben. Folglich hat nach
einem halben Jahrhundert nicht ein Marxist Marx begriffen!!"[6]
Der Vergleich des
Systems der Hegelschen Logik und des Systems der Logik des "Kapitals"
zeigt einen - gemessen an unseren gewöhnlichen Vorstellungen - sowohl
rationelleren Gehalt von Hegels "Logik" als auch eine tiefere
Differenz zwischen der dialektisch.materialistischen Logik und der Hegelschen
Logik.[7]
In allgemeinster Form
entspricht das Schema, die Struktur der Logik des "Kapitals" in der
Tat dem Schema, der Struktur der "Logik" von Hegel.
Marx lässt das
"Kapital" mit der Betrachtung von Ware und Geld beginnen, und zwar
damit, wie "der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische
Produktionsweise herrscht", vor allem zutage tritt, ins Auge fällt. [8] Er beginnt damit, wie der kapitalistische
Reichtum an der Oberfläche
erscheint. [9] Bei der
Untersuchung von Ware und Geld deckt Marx noch nicht das Wesen des Kapitals auf
und definiert insofern auch nicht, was das Kapital ist.
Nachdem er die
Verwandlung von Geld in Kapital charakterisiert hat, geht Marx zur Darstellung
der Produktion von Kapital über.
Die Produktion von Kapitals bildet dessen Wesen.
Im zweiten Band analysiert Marx die Zirkulation des Kapitals. Er kehrt damit
scheinbar zu Ware und Geld zurück, doch interessieren ihn jetzt nicht mehr
Ware und Geld für sich genommen, sondern die Art und Weise, wie das
Kapital in der Zirkulation von Ware und Geld erscheint. Es handelt sich bereits nicht mehr um einfache Ware und
einfaches Geld, sondern um Waren- und Geldkapital.
Folglich untersucht Marx im zweiten Band die Erscheinung des Kapitals.
Im dritten Band
vollendet Marx seine scheinbare Rückkehr zum Ausgangspunkt - zur
Oberfläche, was er folgendermaßen beschreibt: "Die Gestaltungen
des Kapitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also
schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche
(Hervorhebung- V.V.) der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale
aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewusstsein der
Produktionsagenten selbst auftreten."[10]
Was ist
Untersuchungsgegenstand des dritten Bandes?
Es ist die Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozess des
Kapitals. Marx beschreibt diese Einheit bereits am Ende des zweiten Bandes und
präzisiert den Gegenstand des dritten Bandes in folgender Weise:
"Worum es sich in
diesem dritten Buch handelt, kann nicht sein, allgemeine Reflexionen über
diese Einheit anzustellen. Es gilt vielmehr, die konkreten Formen aufzufinden
und darzustellen, welche aus dem Bewegungsprozess
des Kapitals, als Ganzes betrachtet, hervorwachsen. In ihrer wirklichen (Hervorhebung - V.V.)
Bewegung treten sich die Kapitale in solchen konkreten Formen gegenüber,
für die die Gestalt des Kapitals im unmittelbaren Produktionsprozess, wie
seine Gestalt im Zirkulationsprozess, nur als besondere Momente
erscheinen."[11]
Die konkreten Formen der Einheit von Produktions- und
Zirkulationsprozess, d.h. die konkreten Formen der Einheit von Wesen und Erscheinung des Kapitals stellen nichts anderes als die Wirklichkeit des Kapitals dar.
Demnach ähnelt
diese Gedankenbewegung der Gedankenbewegung in Hegels Logik vom Sein zum Wesen,
zur Erscheinung und Wirklichkeit. Doch
bereits hier werden prinzipielle Unterschiede sichtbar.
Marx' Logik ist
dialektisch und materialistisch. Hegels Logik gründet in seinem
Idealismus. Er trennt das Denken von seinem Nährboden und verwandelt es in
ein von Anfang an selbständiges Subjekt, das die ganze übrige Welt
als sein Anderes aus sich hervorbringt.
Von Marx' Position her
hängt der Untersuchungsgegenstand nicht von dem Kopf ab, welcher die
Reflexionen anstellt, während die Gegenstände der Außenwelt
für Hegel aus der Entäußerung, Entfremdung des Denkens
resultieren. Marx erforscht folglich
das spezifische Wesen eines bestimmten Gegenstandes, das nicht vom Denken
abhängt, sondern von ihm nur widergespiegelt wird, während Hegels
Aufgabe darin besteht - jedenfalls in dem Maße, wie sein Idealismus
durchbricht - den Gegenstand der Untersuchung jeweils dieser oder jenen
Kategorie zuzuordnen. Um mit Marx
selbst zu sprechen, interessiert Hegel "nicht die Logik der Sache, sondern
die Sache der Logik".
Hegel verabsolutierte
das Denken, indem er es als etwas Absolutes interpretierte. Den wirklichen
Ausgangspunkt in Hegels Philosophie bildet, wie schon Ludwig Feuerbach
nachgewiesen hatte, das Absolute. Wird aber die Existenz eines Absoluten
anerkannt, so ist dies gleichbedeutend mit seiner Anerkennung als vom Relativen
abgelöstes, verselbständigtes Absolutes. Ein vom Relativen
völlig verselbständigtes Absolutes gibt es jedoch nicht, ist folglich
ein Nichts und völlig unbestimmt. Geht man von der Existenz eines solchen
Absoluten aus, so muss man tatsächlich mit einem Sein beginnen, das
gänzlich unbestimmt und gänzlich identisch mit dem Nichts ist. Und eben von einem derartigen unbestimmten
Sein geht Hegel beim Aufbau des Systems seiner Logik aus.
Marx kann als
Materialist nicht das Denken von seiner Grundlage, nicht das Allgemeine in den
Gegenständen von deren Besonderheit ablösen. Für einen Materialisten existiert das
Allgemeine in den Gegenständen nicht für sich genommen, in Trennung
vom Besonderen und Einzelnen in den Gegenständen. Vom Standpunkt einer
dialektisch-materialistischen Logik darf das Allgemeine aber auch nicht auf das
Besondere und Einzelne reduziert werden, sondern muss in seinem Unterschied zum
Einzelnen und Besonderen im Verlaufe der Erforschung spezifischer
Gegenstände mit ihrer spezifischen Logik herausgefiltert werden.
Das Auffinden des
Allgemeinen im Erkenntnisprozess vollzieht sich bei der Untersuchung ganz
bestimmter, konkreter Gegenstände, und das Allgemeine - von der
Partikularität, Endlichkeit, Besonderheit dieser Gegenstände
unterschieden - lässt sich von seinem Widerpart nur aufgrund seiner
Einheit mit ihm unterscheiden.
Die Logik des
"Kapitals" beginnt mit der Oberfläche oder dem Sein, aber eben
nicht mit einem absoluten, unbestimmten Sein, sondern mit dem Sein eines relativen, bestimmten, konkreten
Gegenstandes. Da der endliche, besondere, spezifische Betrachtungsgegenstand
aber nicht sofort sein Wesen offenbart, da vielmehr dem Erkennenden dieses
Wesen anfangs verhüllt bleibt, erweist sich das Wesen des Gegenstandes dem
Denken des erkennenden Menschen selbstverständlich zunächst als
unbekannt, unbestimmt. In diesem Sinne wird in einem Denken, das die
Oberfläche eines endlichen, besonderen Gegenstandes widerspiegelt,
zunächst und vor
allem konstatiert, dass irgendein Gegenstand ist, und kaum, was er seinem Wesen
nach ist. Man könnte insofern sagen, dass die Logik des "Kapitals"
mit der Kategorie des Seins beginnt, doch in dieser Kategorie wird ein
endliches, bestimmtes, relatives Sein, das Sein eines bestimmten, endlichen
Gegenstandes fixiert.
Hegel beginnt mit dem
gänzlich unbestimmten absoluten Sein. Hier erweist sich sein Idealismus
zugleich als Metaphysik - im Sinne der Negation von Dialektik. Die Logik des "Kapitals" hebt mit
einem Widerspruch an: Einerseits ist
der Betrachtungsgegenstand da, andererseits ist sein Wesen noch
unaufgeklärt und insofern unbekannt, was
der Gegenstand ist. Zugleich existiert der Gegenstand als besonderer, von
anderen Gegenständen unterschiedener Gegenstand, und zwar unabhängig
vom Denken, und er ist in der Anschauung gegeben, wenn er auch noch nicht
gedanklich erfasst wurde.
Da nun der vom theoretisch
denkenden Kopf unabhängige Erkenntnisgegenstand zunächst in der
lebendigen Anschauung gegeben ist und von diesem Kopf nur widergespiegelt,
nicht aber selbst geschaffen wird, lässt er sich auch nur dann
widerspiegeln, wenn sich das Denken in Einheit mit der lebendigen Anschauung
vollzieht. Der Denkverlauf muss folglich stets durch seinen Gegenstand
korrigierbar bleiben, der vom Denken unabhängig existiert und
zunächst nur sinnlich wahrgenommen wird.
Jeder logische Übergang wird von dem außerhalb und
unabhängig vom theoretisch denkenden Kopf existierenden und zunächst
sinnlich gegebenen Gegenstand berichtigt.
Vom Standpunkt des
Hegelschen Idealismus ist das Denken der primäre Vorgang. Die
Gegenstände werden aus ihm selbst geschöpft und die sinnliche
Erkenntnis besitzt daher keine eigenständige Bedeutung, die sich nicht auf
das Denken reduzieren ließe. Ihm kommt nur eine phänomenologische
Rolle zu - die Rolle der Entäußerung des schon immer vorhandenen
Denkens.
Die dialektisch
materialistische Logik erfasst also das Denken in Einheit mit seinem Gegensatz
- mit der sinnlichen Erkenntnis, wobei weder das Denken auf sinnliche
Erkenntnis, noch umgekehrt jene auf das Denken reduzierbar ist. Und wie das Denken außerhalb seiner
Einheit mit der sinnlichen Erkenntnis und mit der Darstellung des vom Denken
unabhängigen Gegenstandes kein wirkliches Denken ist, so gibt es auch
keine wirkliche Logik außerhalb des Zusammenhangs mit der
Erkenntnistheorie und mit der Dialektik. Aber auch so, wie das Denken nicht auf
die sinnliche Erkenntnis reduziert werden darf und von ihm unabhängige
Dinge widerspiegelt, sind auch Logik, Erkenntnistheorie und Dialektik in ihrer
Einheit zugleich voneinander unterschieden.
Unter
erkenntnistheoretischem Aspekt dominiert im "Kapital" die Bewegung
des Erkennens vom Abstrakten zum Konkreten. Diese Bewegung ist
hauptsächlich eine Gedankenbewegung.
Dem Materialismus seines
Verfassers entsprechend, wird der Gegenstand des "Kapitals" im
Verlaufe des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten nicht erzeugt, sondern
gedanklich reproduziert. Daher vollzieht sich dieser Aufstieg in Einheit mit
seinem Gegensatz, nämlich mit der Erkenntnisbewegung vom
Sinnlich-Konkreten zum Abstrakten, und wird dementsprechend ständig
korrigiert.
Untersucht man nun speziell
den Denkprozess, so muss er als Prozess begriffen werden, der in sich seinen
Gegensatz - den vom theoretisch denkenden Kopf unabhängigen und
zunächst sinnlich gegebenen Gegenstand - aufgehoben hat. In speziell logischer Hinsicht bedeutet
das,. dass sich die Gedankenbewegung von der Oberfläche oder dem Sein zum
Wesen, zur Erscheinung und Wirklichkeit in Einheit mit der entgegengesetzten
Gedankenbewegung - von der Wirklichkeit zur Erscheinung, zum Wesen und Sein -
vollzieht, wenngleich die erstgenannte Gedankenrichtung in der Darstellung klar
in den Vordergrund tritt.
Und in der Tat. Um einen
beliebigen Gegenstand zu ergründen, muss dieser bereits vor Beginn der
Untersuchung als solcher sondiert, ausgewählt worden sein, und eine solche
Wahl erfordert zumindest eine vorläufige Vermutung darüber, was dieser Gegenstand darstellt.
Auch im
"Kapital" betrachtet Marx z.B. die Ware bereits unter dem
Gesichtspunkt der Aufgabe, das Kapital zu erforschen, und die Betrachtung der
Ware wird folglich von seinen Auffassungen darüber gelenkt, was das
Kapital darstellt, worin sein Wesen besteht usw..
Im Gegensatz dazu
beinhaltet Hegels Logik - in dem Maße, wie sich sein Idealismus zu
erkennen gibt, - nur eine Gedankenrichtung.
In diesem Unterschied
zwischen den beiden Logiken wird deutlich, dass die Logik des
"Kapitals" eine Logik der Darstellung bildet, die mit dem
Forschungsprozess eng verknüpft, aber nicht gänzlich auf ihn
reduzierbar ist, während in Hegels Logik Forschungs- und Darstellungsprozess
vollständig zusammenfallen, identisch sind.
Somit gibt es einerseits
das allgemeines Schema der Hegelschen Logik, nämlich die Gedankenbewegung
"Sein - Wesen - Erscheinung - Wirklichkeit" auch im
"Kapital" von Marx. Doch andererseits beginnt Marx mit der
Oberfläche, mit dem Sein eines bestimmten konkreten Gegenstandes. Die
materialistische Logik des "Kapitals" besteht nicht darin, den
Gegenständen die Ideen oder Kategorien aufzuzwingen und jene auf diese zu
reduzieren, sondern mit Hilfe von Ideen, Kategorien die unabhängig vom
Denken existierenden Gegenstände zu reproduzieren. Mit der besonderen
Logik der besonderen Gegenstände hat das Denken jedesmal neu zu rechnen,
muss es sich jedesmal neu in Übereinstimmung zu bringen versuchen. Das
betrifft nicht nur den Beginn, sondern den ganzen Bewegungsverlauf des
Gedankens.
Der Betrachtungsgegenstand ist zunächst
in der gesellschaftlichen Praxis als ein untersuchungswürdiger, von
anderen abhebbarer Gegenstand gegeben, dessen Wesen erkannt werden soll. Es
muss zunächst ein treibendes Bedürfnis nach der Erforschung dieses
Gegenstandes geben, der in Form eines besonderen Gegenstandes zunächst
vorgestellt wird, bevor eine Vermutung (später eine Hypothese) über
sein Wesen gebildet werden kann.
Mit dem bisher Gesagten
erschöpft sich allerdings die Logik des "Kapitals" und ihr
Unterschied zu Hegels Logik noch lange nicht.
Da Hegel von einem
verabsolutierten, verselbständigten Denken ausgeht, stellt seine Logik
eine Logik des in sich geschlossenen Denkens dar. Es geht von einem Absoluten
aus und endet auch mit diesem. Hegels Logik ist die Logik eines geschlossenen
Systems, das weder Zukunft, noch Vergangenheit kennt.
Für Marx als
Materialisten ist das Denken eine spezifische Weise der Aneignung der sich
unendlich bewegenden und vom Denken unabhängig existierenden Materie.
Daher muss eine Wissenschaft der Logik
erstens das Denken nicht nur an sich, getrennt von seinem Gegenstand, sondern
die Einheit des Denkens mit dem gedanklich zu Reproduzierenden sowie den
Unterschied der beiden Seiten in dieser Einheit erfassen. Folglich besitzt die
Logik ihre Spezifik, die es jedoch nur in Einheit der Logik mit demjenigen
gibt, welches selbst nicht Logik ist - mit den zunächst sinnlich gegebenen
Gegenständen der gedanklichen Widerspiegelung.
Daher ist die Logik des
"Kapitals" als eine allgemeine Logik einerseits von der Logik der
politischen Ökonomie des Kapitalismus verschieden, andererseits jedoch
auch eng mit ihr verknüpft, innerlich verbunden. Daher ist auch die Logik
des "Kapitals" einerseits von der Erkenntnistheorie des Marxismus
verschieden, anderseits innerlich mit ihr verbunden.
Zweitens stellt die
Logik ein historisches Gebilde dar, das im Zuge der Veränderung der
gedanklich reproduzierten Gegenstände nicht seinerseits unveränderlich
bleiben kann.
Hegels Logik bietet uns
nur eine Darstellung der Gegenwart, und dazu in mystischem Gewand.
Auch in diesem Punkt ist
Marx' Logik komplizierter als Hegels
Logik.
Dass Vergangenheit und
Zukunft nicht völlig auf die Gegenwart reduzierbar sind, sondern von einer
Einheit mit Unterschieden auszugehen ist, muss sich auch auf die Logik
auswirken.
Angelehnt an Lenins
Vergleich der menschlichen Erkenntnis mit einer Reihe von Kreisen oder einer
Spirale[12]
kann gesagt werden, dass die Logik von Marx mit Notwendigkeit drei Windungen
oder Kreise birgt, Hegels Logik infolge seines Idealismus dagegen nur
"eindimensional" ist. [13]
Marx' Logik enthält
eine Spiralwindung der Denkbewegung, die die Vergangenheit reproduzieren hilft,
soweit sie in aufgehobener Form in der Gegenwart bewahrt wird, eine weitere
Windung, die speziell die Gegenwart widerspiegelt, und eine dritte Windung, die
die Darstellung der Zukunft ermöglicht, so weit sie bereits in der
Gegenwart heranreift.
Trotz relativer
Verschiedenheit dieser drei Spiralwindungen bilden sie doch nichts vollkommen
Selbständiges, sondern vielmehr eine innere Einheit.
So ist beispielsweise
die Vergangenheit der kapitalistischen Produktionsweise in aufgehobener Form
während der gesamten Betrachtung des Kapitals durch Marx präsent.
Gleichzeitig tritt aber auch die Vergangenheit des Kapitalismus, wie sie in
aufgehobener Form im Kapitalismus fortdauert, speziell in der Untersuchung von
War und Geld durch Marx auf. Ware und
Geld existierten auch vor dem Kapitalismus, vor dem Erscheinen von Kapital. Die
Ware-Geld-Beziehungen werden erst dann kapitalistisch, wenn sie allgemein und
umfassend zu herrschen beginnen und sich sowohl die Produktion, als auch die
Zirkulation unterwerfen (d.h., wenn auch die Faktoren der eigentlichen
Produktion, nämlich die Arbeitskraft und die Produktionsmittel, zu Waren
geworden sind).
Marx betrachtet zu
Beginn nicht Warenhandlungskapital und Geldhandlungskapital, sondern einfache
Ware und einfaches Geld, aber nur insofern, als sie in dieser Form auch im -
und nicht vor dem - Kapitalismus existieren. Somit werden einfache Ware und
einfaches Geld nicht von den anderen Seiten und Gestaltungen des Kapitalismus
getrennt, sondern unter Berücksichtigung ihres Platzes und ihrer Bedeutung
innerhalb der kapitalistischen Ökonomie untersucht.
Die Darstellung von Ware
und Geld durch Marx beschreibt
ihrerseits selbst eine Spiralwindung. Marx hebt die Analyse der Ware mit
dem Gebrauchswert an. Die Ware fällt zunächst auf, tritt an die
Oberfläche als ein Ding, welches
dieses oder jenes Bedürfnis zu befriedigen vermag. Der Gebrauchswert
bildet unter kategorialem Aspekt die Oberfläche, das Sein der Ware (nicht
des Kapitals). Nachdem Marx den Gebrauchswert für sich genommen betrachtet
hat, geht er zu Untersuchung derjenigen gesellschaftlichen Verhältnisse
über, die sich hinter dem Verhältnis von Gebrauchswerten verbergen,
und deckt den Wert auf, die Kristallisation von gesellschaftlich
durchschnittlich-notwendiger Arbeit. Der Wert als solcher ist uns nicht in der
sinnlichen Anschauung gegeben, man kann ihn weder fühlen, noch sehen usw..
Nichtsdestoweniger existiert er ganz real. Der Wert ist das Innere der Ware,
ihr Wesen. Während der
Gebrauchswert durch die konkrete Arbeit geschaffen wird, entspringt der Wert
der abstrakten Arbeit. Eine historisch bestimmte Arbeit erweist sich als Substanz der Ware, und diese Substanz
besitzt Doppelcharakter.
Nachdem Marx den Wert
für sich genommen analysiert hat, bewegt er sich erneut vom Wesen zur
Oberfläche, zum Sein, diesmal aber schon auf der Grundlage des erkannten
Wesens. Er erforscht, wie der Wert im Verhältnis von Gebrauchswerten erscheint, und betrachtet die Erscheinungsformen des Wertes (die
einfache, entfaltete, allgemeine und die Geldform des Wertes).
Mit der Entfaltung der
Wertformen entwickelt sich die Polarität von Wert und Gebrauchswert, die
unmittelbare Identität von Gebrauchswert und Wert polarisiert sich im
Verhältnis verschiedener Waren. Im Verlaufe der Bewegung vom Wesen (vom Wert
der Ware) zur Erscheinung (zur
Erscheinung des Wertes im Verhältnis von Gebrauchswerten), bei der
Untersuchung der Erscheinungsformen
des Wesens betrachtet Marx nicht einfach den Gebrauchswert und den Wert für sich genommen, sondern die Einheit von Wert und Gebrauchswert und
die Formen dieser Einheit.
Nach der Darstellung der
Wertformen beschreibt Marx den Austauschprozess und danach das Geld bzw. die
Warenzirkulation. Hier ist insbesondere die Rede vom Austauschprozess als Ganzes, von der Totalität der Zirkulation. So deckt Marx im dritten Kapitel
des ersten Bandes die Funktionen des Geldes auf, und Funktionen des Geldes sind
Funktionen nicht dieser oder jenen einzelnen Ware, sondern Funktionen der Totalität der Bewegung aller
Waren. Diese Stufe der gedanklichen Reproduktion aber ist die Wirklichkeit - die Einheit von Wesen und
Erscheinung und die Formen dieser Einheit. Diese Windung, dieser Kreis bildet
in aufgehobener Form die Vergangenheit ab. Wir nennen sie die kleine
Spiralwindung der Logik des "Kapitals".
Die Gegenwart wird vor
allem in der oben bereits beschriebenen Spiralwindung der Logik des
"Kapitals" widergespiegelt, als die Struktur des "Kapitals"
im Überblick umrissen wurde. Sie kann als die große Spiralwindung
der Logik des "Kapitals" bezeichnet werden.
Die Entwicklung der
kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Wirtschaftsweise führt letzten
Endes - jedoch keinesfalls automatisch - zu ihrem Zusammenbruch und zur
Herausbildung eines neuen Gesellschaftstyps. Das Wesen der neuen Gesellschaft
kann sich im Schoße des Kapitalismus nicht bilden, es werden lediglich
Voraussetzungen der neuen Gesellschaft geschaffen. Infolge dessen kann die Logik der gedanklichen Reproduktion
zukünftiger Entwicklung bei der Analyse der kapitalistischen Ökonomie
keine unmittelbare Darstellung des Wesens des Neuen liefern - dieses lässt
sich vielmehr nur angesichts der Entwicklung der Voraussetzungen des neuen,
noch nicht existenten Wesens beurteilen. Die Vorwegnahme der Zukunft stellt in
der Logik des "Kapitals" in genauer Übereinstimmung mit dem
Gegenstand der Forschung einen Spiralabschnitt dar: Die Gedankenbewegung
verläuft vom Sein zum Wesen, das Wesen kann jedoch unmittelbar nicht
rekonstruiert werden, da es in der Realität selbst noch fehlt.
Verweilen wir bei diesem
Spiralabschnitt noch etwas ausführlicher.
An der Oberfläche,
im Sein (hier - des Kapitals) lassen sich keine Schranken für die Existenz
des Gegenstandes (des Kapitals) feststellen. In der Tat. In der Sphäre der
Zirkulation besteht die Bewegung des
Kapitals im Prozess des ständigen Wachstums von Geld, der durch die
allgemeine Formel des Kapitals G-W-G' ausgedrückt wird, wobei G für
Geld, W für Ware und G' für das gewachsene Geld stehen. Hier ist
keinerlei Grenze für Existenz und Bewegung oder für das Anwachsen von
Kapital erkennbar, weil Ausgangs- und
Endpunkt der Bewegung, wie lange sie auch immer andauern mag, qualitativ
miteinander identisch bleiben.
Der Unterschied zwischen
ihnen ist rein quantitativ. Das Kapital und der Kapitalismus erscheinen, wenn
man sich bei der Betrachtung auf die Sphäre der Oberfläche, der
Zirkulation in Absehung von der Sphäre der Produktion beschränkt, als
ewig. Und dies ist eine objektive Illusion.
Die Grenze für die
Existenz des Gegenstandes wird in der Logik des "Kapitals" erst
ersichtlich beim Übergang vom Sein zum Wesen dieses Gegenstandes (des
Kapitals). Der Übergang von der Oberfläche, vom Sein zum Wesen im
"Kapital" wird in politökonomischer Hinsicht bei der Betrachtung
der Verwandlung von Geld in Kapital deutlich. Diese beruht auf dem Verkauf der
Arbeitskraft des freien Arbeiters - "frei" vom Eigentum an
Produktionsmitteln, und frei im Sinne der Verfügbarkeit über die
eigene Arbeitskraft - an den Besitzer der Produktionsmittel. Solange sich
dieser Prozess in der Zirkulationssphäre vollzieht, ist eine
Existenzschranke des Kapitals nicht erkennbar. Nun aber tritt die gekaufte
Arbeitskraft in den Produktionsprozess ein und wird konsumiert. Die Konsumtion
der gekauften Arbeitskraft durch der Anwendung der dem Kapitalisten
gehörigen Produktionsmittel, im Verlaufe derer der Arbeiter durch seine
Arbeit einen Wert schafft, der den Weg der gekauften Arbeitskraft
übersteigt, ist eben der Prozess der eigentlichen Schaffung, der
Produktion von Kapital.
Das Kapital produziert
die Konsumtion der gekauften Arbeitskraft und es lebt, solange die gekaufte
Arbeitskraft konsumiert wird. Marx hebt zwei grundlegende Formen der Schaffung
von Mehrwert hervor: die Produktion von absolutem und relativem Mehrwert. Der
absolute Mehrwert ist - in seiner reinen Form - der Mehrwert, der auf Kosten
der Verlängerung des Arbeitstages bei unverändert notwendiger
Arbeitszeit entsteht, d.h. der Zeit, die täglich zur Reproduktion des
Wertes der Arbeitskraft erforderlich ist. Der relative Mehrwert dagegen ist der
Mehrwert, der "aus Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und
entsprechender Veränderung im Größenverhältnis der beiden
Bestandteile des Arbeitstags entspringt."[14]
Bei der Produktion von
absolutem Mehrwert bleibt die Produktionsweise unveränderlich. Für
die Produktion von relativem Mehrwert muss das Kapital "die technischen
und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die
Produktionsweise selbst umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu
erhöhen, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Wert
der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Wertes
notwendigen Teil des Arbeitstags zu verkürzen."[15]
Die Produktion von
absolutem Mehrwert stößt auf die natürliche Grenze der
Länge des Arbeitstages von 24 Stunden. Und selbst diese natürliche
Grenze kann unmöglich regelmäßig erreicht werden. Es gibt
natürlich die Möglichkeit der Anwendung einer immer
größeren Anzahl von Arbeiters bei unveränderter
Produktionsweise, doch dabei bleibt die Rate des Mehrwertes (oder das
Verhältnis von m/v = Mehrarbeit/ notwendige Arbeit, wobei m für Mehrwert und v für das
variable Kapital stehen) unveränderlich, d.h. der Ausbeutungsgrad der
Arbeitskraft durch das Kapital bleibt konstant.
Das Kapital entwickelt
sich bei der Produktion von absolutem Mehrwert extensiv, verändert sich quantitativ. Die Grenze des
Arbeitstages ist eine Grenze der quantitativen Veränderung des Kapitals.
Die Vergrößerung der Masse des Mehrwertes durch Erhöhung der
Anzahl der Arbeiter besitzt bei unveränderlicher Mehrwertrate letztlich
ebenfalls eine quantitative Grenze. Doch stößt die Entwicklung des
Kapitalismus vor allem auf eine quantitative Grenze in Form der begrenzten
Länge des Arbeitstages, denn die Natur des Kapitals lenkt es, wie Marx
gezeigt hat, mit Notwendigkeit zunächst in Richtung der Verschärfung
des Ausbeutungsgrades der Arbeitskraft.
Die kapitalistischen
Unternehmer stoßen bei ihrem Bestreben nach Verlängerung des
Arbeitstages auch auf den wachsenden Widerstand der Arbeiter. Im Ergebnis des
Kampfes zwischen Kapitalisten und Arbeitern wird letzten Endes die Grenze
für die Länge des Arbeitstages gesetzlich fixiert, was Marx anhand
eines umfangreichen Tatsachenmaterials illustriert hat. Natürlich lassen
sich für die Kapitalisten noch eine Menge Wege finden, um die Fabrikgesetzgebung
zu umgehen. Und dennoch bleibt die Länge des Arbeitstages begrenzt, so
dass sich infolge dieser Beschränkung der Ausbeutungsgrad der Arbeitskraft
hauptsächlich über den Weg der Erhöhung der
Arbeitsproduktivität steigern lässt. Der Kapitalismus entwickelt sich
unter der Dominanz der Produktion von relativem Mehrwert in erster Linie intensiv. Hierbei zeigt sich nun nicht mehr eine quantitative Grenze einer
ganz bestimmten Existenz- und Bewegungsform des Kapitals, sondern eine
qualitative, genauer gesagt, eine Grenze des Maßes der Kapitalbewegung überhaupt. De facto verringert
sich im Maße der Entwicklung der Arbeitsproduktivität, der
Entfaltung der Produktivkräfte, die Anwendung von variablem im Vergleich
zu konstantem Kapital. Das variable Kapital aber ist lebendiges Kapital, da
gerade die Konsumtion der Arbeitskraft Kapital schafft. "Die Akkumulation
des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine quantitative Erweiterung
erschien, vollzieht sich, wie wir gesehen, in fortwährendem qualitativen
Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zunahme seines konstanten
auf Kosten seines variablen Bestandteils."[16]
In der Sprache der
Mathematik gesprochen, strebt das konstante Kapital im Grenzwert gegen
unendlich, das variable gegen Null.
Die absolute Eliminierung
von variablem Kapital, seine Reduktion auf Null und folglich eine absolute
Existenzgrenze des Kapitalismus lässt sich nur bei vollständiger
Automatisierung und vollständigem Ausschluss der lebendigen Arbeit aus dem
Produktionsprozess erreichen. Doch eine solche Schranke ist - zumindest in
überschaubaren Zeiträumen - kaum zu erreichen. Die Hoffnungen auf
einen automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus sind daher ihrem Wesen nach
perspektivlos und haben mit dem Marxismus nichts gemein.
Jedoch muss, wie Marx
nachwies, "...im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des
Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich
verschlechtern..."[17]
Es reifen objektive und
subjektive Bedingungen für den Kampf und einen möglichen Sieg der
Arbeiterklasse heran.
Die Grenze des Maßes
der Existenz von Kapital äußert sich bei der Produktion von
relativem Mehrwert auch darin, dass sich die Entwicklung der Produktivkräfte als notwendige Form der
"Lebenstätigkeit" des Kapitals erweist, während der Charakter der Produktivkräfte im
Prozess dieser Entwicklung in sein
Gegenteil umschlägt: Mit der Ausweitung der maschinellen Produktion
wird der gesellschaftliche Charakter der Arbeit zur technischen Notwendigkeit.
Die auf Privateigentum beruhenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse
treten in einen - bei Fortdauer des Kapitalismus - unüberwindbaren und entwickelten, reifen Widerspruch zum
Niveau und Charakter der Produktivkräfte. Die Grenze des Maßes ist -
im Unterschied zur qualitativen Grenze - die Existenzgrenze des Kapitalismus
überhaupt.
Im vorliegenden Artikel
konnte der Vergleich des Systems der Logik des "Kapitals" mit Hegels
Logik nur in allgemeinster Form umrissen werden. Aber schon dieser grobe
Vergleich führt zu einigen Resultaten:
"Rationelle
Kerne" gibt es in Hegels Logik weitaus mehr, als man sich das
gewöhnlich vorzustellen pflegt. Zugleich unterscheidet sich die Logik des
"Kapitals" prinzipiell von Hegels Logik. Materialismus und Logik
stehen im "Kapital" in einem inneren Zusammenhang. Gerade die
materialistische Position ermöglicht eine konsequente Entwicklung der
dialektischen Logik, während der Idealismus seinen Wesen nach Metaphysik
nach sich zieht.
Außerdem
hängen der materialistische Charakter der Logik von Marx einerseits und
der idealistische Charakter von Hegels Logik anderseits innerlich mit dem
unterschiedlichen Aufbau ihrer logischen Systeme zusammen. So beschreibt die
Logik des "Kapitals" gleichsam drei Spiralwindungen, während
sich Hegels Logik auf einen Kreis beschränkt, wobei diese Behauptung einer
Präzisierung bedarf: Sofern Hegel Vergangenheit und Zukunft auf die
Gegenwart reduziert, schließt sich seine Logik zu einem Kreis zusammen,
sofern er jedoch den Unterschied zwischen der Gegenwart einerseits, und der
Vergangenheit und Zukunft andererseits de facto zulässt und logisch in
diesem oder jenem Maße durchdenkt, kann auch seine Gedankenbewegung in
Form einer Spirale vorgestellt werden.
Die Logik des
"Kapitals" ist eine "Logik der Sache", die Logik eines
bestimmten Gegenstandes; im Gegensatz zu Hegels Logik wird darin das Allgemeine
in seinem inneren Zusammenhang mit und in seinem inneren Unterschied zu dem
Besonderen und Einzelnen betrachtet. Daher ist auch künftig eine
Weiterentwicklung der Logik von Marx nur möglich im Zusammenhang mit
konkreten einzelwissenschaftlichen Forschungen.
Das "Kapital"
von Marx stellt ein bis heute unübertroffenes Muster einer detaillierten
und systematischen Anwendung der dialektisch-materialistischen Methode auf die
Erforschung einer konkreten Wissenschaft (der politischen Ökonomie des
Kapitalismus) dar.
Die Untersuchung der
Logik des "Kapitals" und deren schöpferische Anwendung in
verschiedenen konkreten Wissenschaften eröffnet weitreichende
Perspektiven.
( Moskau 1984, unveröffentlichtes
Manuskript,
Übersetzung: Gudrun Havemann)
[1] Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Bd. 23, S. 27
[2] ebenda
[3] ebenda
[4] MEW, Bd. 13, S. 472
[5] vgl. W.I.Lenin: Philosophische Hefte, in: Lenin Werke Bd. 38, S. 316,
Anmerkung **
[6] ebenda, S. 170
[7] Einen systematischen und detaillierten Vergleich dieser beiden logischen
Systeme unternimmt der Autor in seiner Arbeit: "Die Logik des
"Kapitals" von Karl Marx", Moskau 1968 (russ.)
[8] MEW, Bd. 23, S. 49
[9] Im Alltagsbewusstsein besitzt das vom Substantiv
"Oberfläche" her abgeleitete Adjektiv häufig einen
abwertenden Sinn und einen emotional eher negativen Beigeschmack. Wir
gebrauchen das Wort "Oberfläche" hier in einem kategorialen
Sinn, nämlich zur Bezeichnung desjenigen unabdingbaren Erkenntnisstadiums,
von dem aus das Erkennen sich in die Tiefe bewegt.
[10] Karl Marx: Das Kapital, Bd.3, in: MEW, Bd. 25, S. 33
[11] ebenda
[12] vgl. Lenin Werke, Bd. 38, S. 344
[13] Das Wort "Windung" bzw. "Kreis" wird hier zur bildhaften
Bezeichnung einer Bewegung verwendet, die sich auf dem Wege der Negation des
Ausgangspunktes und der darauffolgenden Negation vollzieht, im Zuge derer die
Negation der ersten Negation und eine scheinbare Rückkehr zum
Ausgangspunkt stattfindet, eine Rückkehr bei Bewahrung des im ersten
Negationsprozess entstandenen Positiven.
[14] MEW, Bd. 23, S. 334
[15] ebenda
[16] ebenda, S. 657
[17] ebenda, S. 675