Im Gedenken an einen Lehrer
Viktor
Alekseevič Vazjulin
ist tot. In seinem 80. Lebensjahr hörte sein Herz auf zu schlagen.
Als
Philosoph und Lehrer war er tätig auf der Magistrale der Wissenschaft von
der Gesellschaft und der Erziehung neuer Generationen von Wissenschaftlern.
Durch seine gesamte selbstlose Tätigkeit hat er die Wahrheit
bestätigt, dass man kein guter Pädagoge sein kann, ohne sich mit
wissenschaftlicher Forschung im eigenen Lehrgebiet zu befassen.
Vazjulin wurde 1932 im Bezirk Svenigorod des Moskauer Gebiets geboren. Nach seinem
Studienabschluss an der Philosophischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossov-Universität und seiner Aspirantur arbeitete
er in dieser Universität zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter,
dann Dozent und Professor. Zugleich beschäftigte er sich mit der
Grundlagentheorie und war dazu nicht nur an der MGU tätig, sondern auch am
Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und
später in der Zeitgenössischen Akademie für Humanwissenschaften (Sovremmennaja Gumanitarnaja Akademija). Er leistete einen wesentlichen Beitrag zur
Entwicklung der Erkenntnislogik und -methode der Untersuchung des
Geschichtsprozesses. Vazjulin gehörte zu jener
Richtung der Gesellschaftswissenschaften, die mit den Namen Hegel und Marx
verknüpft sind. Während Hegel die Entwicklung der gesamten
vorangegangenen Geschichte der Philosophie resümierte, indem er sie in
einem System von dialektisch-logischen Kategorien verallgemeinerte, und Marx
das Hegelsche System als Instrument zur Erkenntnis der damaligen Gesellschaft
angewendet hatte, indem er eine schlüssige sozialökonomische Theorie
von dieser schuf und gewissermaßen die Logik im ökonomischen System
aufgelöst hatte, womit sich letzteres erst herauskristallisieren
ließ, so unternahm Vazjulin den nächsten
Schritt: Detailliert spürte er seinerseits die logische Struktur des
Marxschen „Kapitals“ auf und fasste diese als System von dialektischen
Kategorien, womit er ein neues Werkzeug zur Erforschung nunmehr schon der
Weltgeschichte insgesamt vorbereitete – die er alsdann selbst untersuchte. Die
Monographien von Vazjulin zur „Logik des ‚Kapitals’
von Karl Marx“ (1968, 2002) und zur „Logik der Geschichte“ (1988, 2005) stellen
Meilensteine auf dem schwierigen Weg der Selbsterkenntnis der Menschheit dar.
1992
gründeten Schüler und ehemalige Doktoranden von Vazjulin
die Internationale Schule der Logik der Geschichte, im Rahmen derer sie,
gestützt auf die Methodologie ihres Lehrers, ihre Forschungen fortsetzten.
Inspirator und beständiger Leiter dieser Schule war Vazjulin.
Die logisch-historische Methodologie überschritt dank dieser
wissenschaftlichen Schule die Grenzen Russlands und fand Verbreitung sowohl in
den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, als auch in einer Reihe
europäischer Länder (Griechenland, Deutschland, Portzgal,
Frankreich, Schweden u.a.), in Südostasien (Südkorea) und in der
westlichen Hemisphäre (Brasilien, Venezuela).
Nicht
nur aufgrund seiner grenzenlosen Hingabe zur Wissenschaft beeinflusste Vazjulin seine Schüler und Mitstreiter auf das
Nachhaltigste. Seine Persönlichkeit selbst und die Geradlinigkeit seines
Charakters, sein universeller, gründlicher Geist, Mut im Verhalten, seine
beeindruckende Arbeitsintensität und seine pädagogische Geduld hatten
kolossale Wirkung auf seine Mitmenschen. Manchmal half allein das Bewusstsein
davon, dass es einen solchen Menschen gibt, allein die Tatsache der Existenz
dieser unikalen Persönlichkeit seinen Schülern in ihrem Leben und
Schaffen weiter. Wie dieser Mensch die in den letzten Jahren zunehmende
Verschlechterung seiner Sehkraft zu bekämpfen versuchte, ist ein
unvergessliches Muster an Mut und menschlicher Willensstärke.
Viktor
Alekseevič ist von uns gegangen. Doch ist er
weder aus der Wissenschaft, noch aus den Herzen seiner Nächsten und
Schüler, aus dem dankbaren Gedächtnis der Gemeinschaft von
Wissenschaftlern wegzudenken.
V.G. Golobokov
im Namen seiner Kollegen und Anhänger